(Diese Kolumne ist im Original erschienen bei www.caramia.de, genau hier.)
Manchmal bekomme ich beim Autofahren Herzklopfen. Wenn vor mir nur Himmel und Ferne sind und die untergehende Sonne dieses schräge Licht auf den Asphalt wirft. Wenn im Radio Van Morrison läuft, der Wind durch das geöffnete Fenster rauscht, wenn es nach Sommer und Freiheit riecht. Dann kommt dieses Gefühl: Dass alles möglich ist.
Rum im Erste-Hilfe-Kasten
Der Fahrer Conrado ist deutlich älter als sein Auto, er plaudert gegen den Straßenlärm an, erzählt von Kampf und Helden. Ich verstehe nur die Hälfte. Mein Spanisch ist so löcherig wie der Boden des Packard. Direkt an meinen Füßen ist ein faustgroßes Loch, durch das ich die Straße sehen kann. Die Sitze werden mühsam mit ein paar Gürteln und Seilen an ihrem Platz gehalten, der Seitenspiegel ist mit einem Suppenlöffel befestigt und im Handschuhfach liegt eine Flasche Rum. „Mein Erste-Hilfe-Kasten“, sagt Conrado und lacht.
Wellen spritzen hoch über den Malecón bis auf die Straße, in der Ferne mischen sich Meer und Himmel zu einem verschwenderischen Blau. Wir verlassen die Stadt, die Palmen werden grüner und größer, die Straßen staubiger. Vor uns: Weite. Und da ist es wieder, dieses Gefühl. Dass mir alle Wege offen stehen.
Kaputt geht nicht
Conrado erklärt mir seine Armaturen. Das meiste sind Provisorien. Da, wo es früher mal einen „Lighter“ gab, bewahrt er sein Wechselgeld auf. Den Blinkerhebel hat er mit einem Weinkorken ersetzt. Conrados typische Antwort auf die Frage, wie dieses und jenes funktioniert: „Ach, da habe ich was gebastelt“. Auf Kuba hat fast jeder das Know-how eines Kfz-Mechanikers. Kaputt gibt es nicht. Kaputt geht nämlich nicht. Ersatzteile sind seit Jahrzehnten aufgebraucht. Die Regel ist einfach: Wenn etwas kaputt ist, muss es irgendwie repariert werden. „Da kann man was fürs Leben lernen“, sagt Conrado und zündet eine Zigarette an.
Wir fahren schneller, die Farben vor dem Fenster verschwimmen, es gibt nur noch Straße, Himmel, Wind. Conrados Augen leuchten. Manchmal sieht das Leben durch die Frontscheibe eines Autos am Schönsten aus. Weil man sich für ein paar Minuten vorstellen darf, alles Kaputte einfach hinter sich zu lassen. Sich nie mehr umzudrehen.
Conrado biegt mit extra viel Schwung um die nächste Kurve und direkt vor uns liegt das Meer.
Herzklopfen.